Inhaltsverzeichnis

Familiennachzug von Drittstaatenangehörigen in die Schweiz

Grundsätzlich besteht ein Anspruch von ausländischen Ehegatten auf Familiennachzug zum in der Schweiz lebenden und aufenthaltsberechtigten Ehepartner. Dies ergibt sich schon aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

«Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat‑ und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.» Art. 8 Abs. 1 EMRK.

Hieraus ergibt sich das Recht jeder Familie zusammen zu leben, ohne dass der Staat in ihre inneren Angelegenheiten eingreift, sofern der Eingriff nicht gesetzlich vorgesehen ist und notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Artikel 8 Abs. 2 EMRK).

Bei Ehegatten von Schweizer Bürgern

Selbstverständlich gilt dieses in erster Linie für ausländische Ehegatten von Schweizer Bürgern und ist verbrieft in Artikel 42 Abs. 1 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG). Das AIG stützt sich dabei auf Art. 13 Abs. 1 der Bundesverfassung (BV) «Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.», dieser entspricht fast wörtlich dem oben zitierten Art. 8 der EMRK.

Bei Ehegatten von Bürgern der EU und EFTA-Staaten

Das Recht auf Familiennachzug für Ehepartner von EU- und EFTA-Bürgern ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA (Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU), welches besagt:

«Die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist und ein Aufenthaltsrecht hat, haben das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Der Arbeitnehmer muss für seine Familie über eine Wohnung verfügen, die in dem Gebiet, in dem er beschäftigt ist, den für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen entspricht; diese Bestimmung darf jedoch nicht zu Diskriminierungen zwischen inländischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmern aus der anderen Vertragspartei führen.»

Trotz des Wortlauts «bei ihr Wohnung zu nehmen» verlangen das Gesetz und die Rechtsprechung nicht, dass die Ehegatten zwingend im selben Haushalt leben müssen. Dennoch kann sich aber niemand auf eine inhaltsleere Ehe zur Rechtfertigung seiner Aufenthaltsbewilligung berufen. Die Qualifikation der «inhaltsleeren Ehe» kann zu erheblichen Schwierigkeiten führen und ermöglicht Behörden Fragen zu stellen, welche weit in den persönlichen Intimbereich der Ehegatten gehen und die bei Schweizer Eheleuten nie hinterfragt werden würden. Bei der Definition der Ehe darf jedoch nicht von einer rein traditionellen Ehe ausgegangen werden, vielmehr müssen die Behörden beweisen, dass die Ehe «inhaltsleer» ist.

Fristen für den Familiennachzug

«Der Anspruch auf Familiennachzug muss innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht werden. Kinder über zwölf Jahre müssen innerhalb von zwölf Monaten nachgezogen werden», so sieht es Art. 47 Abs 1 AIG vor. Mit dem letzten Satz soll sichergestellt werden, dass die nachgezogenen Jugendlichen eine Chance haben, hier die Schulen zu besuchen oder eine Ausbildung zu absolvieren und sich damit auch schneller zu integrieren. Die allgemeine Frist von 5 Jahren bezweckt, dass der Anspruch auf ein gemeinsames Familienleben möglichst bald gestellt wird, da man davon ausgeht, dass Paare die freiwillig länger als 5 Jahre in verschiedenen Staaten leben, kein schutzwürdiges Bedürfnis nach einem Zusammenleben haben. Dies ist fragwürdig, kann es doch durchaus sein, dass die Fernbeziehung über Jahre problemlos gelebt werden kann, dass aber nach Jahren gesundheitliche, finanzielle oder sicherheitspolitische Veränderungen eintreten, welche das Paar dazu bewegen, nun doch lieber gemeinsam in der Schweiz zu leben.

Der Übergang der derivativen (abgeleiteten) Aufenthaltsbewilligung in eine originäre, eigenständige Aufenthaltsbewilligung bei ausländischen Ehegatten aus Drittstaaten

Es ist selbstverständlich, dass der in der Schweiz lebende Drittstaatenangehörige nicht ewig davon abhängig sein kann, dass seine Ehe intakt bleibt. Aus diesem Grund statuiert Artikel 50 Abs. 1 des AIG

«Nach Auflösung der Ehe oder der Familiengemeinschaft besteht der Anspruch des Ehegatten und der Kinder auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach den Artikeln 42 und 43 weiter, wenn:

  1. die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und die Integrationskriterien nach Artikel 58a erfüllt sind; oder
  2. wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen.»

Ausserordentlich streng ist die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang bei der Frage, ab welchem Zeitpunkt der Aufenthaltstitel des Drittstaatenangehörigen von einer abgeleiteten Bewilligung, die vom Fortbestand der Ehe abhängt, in eine originäre, eigene Aufenthaltsbewilligung übergeht.

Bei der zeitlichen Komponente gibt es gemäss der Rechtsprechung keine Gnade. Erst im Dezember 2023 befand das Bundesgericht im Zusammenhang mit einem Fall aus dem Kanton Thurgau, im Urteil 2C_486/2023, dass ein Drittstaatenangehöriger, der schon verheiratet am 20. April 2019 in die Schweiz einreiste, keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung hat, da die Eheleute sich am 16. März 2022 trennten, also einen Monat und vier Tage weniger als drei Jahre die Ehe in der Schweiz gelebt haben. Dabei hilft es laut Bundesgericht auch nicht, wenn die Ehe im Ausland schon vorbestanden hat.

Diese Regelung ist ausgesprochen starr und öffnet vielen Ungerechtigkeiten Tür und Tor, so können Drittstaatenangehörige in der Ehe «gefügig gemacht werden», in der Angst um den Verlust der Aufenthaltsbewilligung, Behörden erhalten einen massiven Bewertungsspielraum über die «Anforderungen an eine Ehe» und nicht zuletzt kann der nicht betroffene Ehegatte seinen Ehepartner faktisch durch das Migrationsamt «entsorgen lassen», um einen teuren und unangenehmen Eheschutz- oder Scheidungsprozess in der Schweiz zu umgehen.

Rechtsanwalt & Partner
Daniel Ordas
Der spanische Basler hat ein vielfältiges gesellschaftliches Interesse. Er ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter. Sein besonderes Engagement gilt den Integrationsfragen sowie allgemeinen politischen Themen. Er ist Verfasser zweier Bücher zum Thema Revision der spanischen Verfassung und von Vorschlägen zur Modernisierung des politischen Systems in Spanien. Im Jahr 2005 erlangte er das Anwaltspatent des Kantons Basel-Landschaft. Daniel Ordas leitet den Spanisch Desk der Advokatur & Rechtsberatung TRIAS AG.
Nach oben scrollen